Frau Tashiro, Sie leiten bei Schultze & Braun die Internationale Abteilung, die auf grenzüberschreitende Sanierungen und Insolvenzverfahren spezialisiert ist – also etwa, wenn ein Tochterunternehmen im Ausland oder ein ausländischer Geschäftspartner finanzielle Probleme hat. Wie können Sie und Ihr Team in solchen Fällen beraten und unterstützen?
Tashiro: Wir begleiten deutsche Unternehmer bereits seit vielen Jahren bei ihren Aktivitäten im Ausland. Gleichzeitig sind wir für ausländische Unternehmen tätig, die in Deutschland aktiv sind. Wir kennen also beide Seiten und von dieser Erfahrung profitieren unsere Mandanten, aber auch Restrukturierungs- und Sanierungsberater, die nicht regelmäßig mit grenzüberschreitenden Fragestellungen und Szenarien zu tun haben. Unser Tätigkeitsspektrum reicht dabei thematisch und regional einmal um den kompletten Globus – also etwa von der notwendigen Sanierung eines Tochterunternehmens in Frankreich, bis zum Finanzproblem eines Geschäftspartners in Japan oder der Abwehr von Klagen in den USA.
Wird die Cross Border-Abteilung nur im Krisenfall tätig?
Tashiro: Wir vertreten die Interessen unserer Auftraggeber generell und beraten und unterstützen auch außerhalb von Krisen. Doppelzulassungen unserer Expertinnen und Experten als Rechtsanwälte sowie eigene Standorte in Frankreich und Italien erlauben es der Cross Border-Abteilung, direkt vor Ort tätig zu sein. So beraten und unterstützen wir auch Fachexperten, denen internationale Expertise fehlt.
Mit wem arbeitet die Cross Border-Abteilung zusammen?
Tashiro: Wir arbeiten mit vielen Insolvenzverwaltern, Eigenverwaltern und Sachwaltern zusammen. Aber auch Unternehmer, Unternehmen, die im Ausland Gläubiger sind, sowie Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer kommen auf uns zu. Wenn es etwa um eine Frage bezüglich der Sicherheitenbewertung oder zu Anfechtungsmöglichkeiten im italienischen Rechtsraum geht, können wir selbst schnell und direkt in die Themen einsteigen und eine Einschätzung abgeben. Wir haben für viele weitere Länder und Rechtssysteme Expertinnen und Experten im Team und verfügen darüber hinaus über ein breites und belastbares internationales Netzwerk.
Mit welchen Themen melden sich Auftraggeber bei der Cross Border-Abteilung?
Tashiro: In der Regel haben die Anfragen mit den Auswirkungen der Sanierung oder Insolvenz eines deutschen Unternehmens im Ausland zu tun, die Themen sind vielfältig. Das kann etwa der Fall sein, wenn eine Gesellschaft aus Frankreich in Schwierigkeiten steckt. Wir können dann für die französische Gesellschaft tätig werden, aber auch für den deutschen Geschäftspartner, der seine Interessen gewahrt haben möchte – etwa, wenn sich Hürden bei der Vertragserfüllung bemerkbar machen. Wir beraten und vertreten unsere Mandanten dabei, sich bestmöglich zu positionieren und ihre Rechte durchzusetzen. Für viele Jurisdiktionen können wir das unmittelbar selbst leisten, basierend auf unserer Expertise und Erfahrung. Wenn es zu speziell wird, arbeiten wir mit lokalen Partnern zusammen.
Wo liegen die Vorteile für Auftraggeber wie Anwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, wenn sie sich an die Cross Border-Abteilung wenden?
Tashiro: Das Alleinstellungsmerkmal der Cross Border-Abteilung ist eben, dass wir alles aus einer Hand abdecken. Wenn bei einer Anfrage die Rechtsprechung Deutschlands und die eines anderen Landes relevant ist, bieten wir die Transferleistung: Wir setzen das Verständnis des Rechts eines anderen Landes in den deutschen Kontext, sodass der Sachverhalt hier klar wird und sich eine Handlungsempfehlung daraus ableiten lässt. Denn die beste juristische Einschätzung hilft am Ende nur wenig, wenn der Auftraggeber dabei `Lost in Translation´ ist. Im Beispiel von eben – also dem deutschen Partner einer französischen Gesellschaft – erhält der Mandant eine auf ihn und sein deutsches Rechtsverständnis zugeschnittene einheitliche Empfehlung, auch wenn wir mit local counsel kooperieren. Unser Leistungsspektrum kann aber auch die Punkte `Wo findet ein Unternehmen das für die Sanierung vorzugswürdige Insolvenz- oder Restrukturierungsrecht?´ oder die Konsequenzen von Intercompany-Verflechtungen für die Sanierungsaussichten eines deutschen Unternehmens umfassen. Diese spielen für die Unternehmen und Wirtschaftsprüfer auch etwa bei Testaten eine Rolle.
Welche Faktoren sind dabei wichtig?
Tashiro: Wichtig für die Antworten auf Fragestellungen in ausländischen Rechtssystemen ist es, die richtigen Fragen zu stellen und den Kern der Frage konkret herauszuarbeiten. Denn wer die falschen Fragen stellt oder sie unpräzise formuliert, erhält Antworten, die bestenfalls nicht helfen oder mitunter nicht nur die Sanierung be- oder verhindern, sondern für das Management zu einem echten Haftungsrisiko werden können. Bei einer Restrukturierung ist für uns aber auch die Frage der Prioritätensetzung und Risikoeinschätzung ganz entscheidend: Mit wieviel Aufwand kann man mit welchen Aussichten was erreichen und ist das rechtlich zwingend und für das Gesamtziel wichtig oder nur „nice to have“. Im Restrukturierungsfall passiert es leicht, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Unsere Mandanten vertrauen hier auf unsere Erfahrung und Expertise.
Können Sie Ihre Tätigkeit mit einem Beispiel erläutern?
Tashiro: Mitunter fragen sich Mandanten, ob die Mehrwertsteuer in anderen EU-Mitgliedsstaaten trotz einer Antragstellung in Deutschland besser gezahlt und ob sie dann später wieder zugunsten der Masse angefochten werden soll, sofern für die Geschäftsführung eine persönliche Haftung droht. Dabei muss man neben der Haftung und Anfechtbarkeit auch noch beachten, dass man den Fiskus eines anderen Staates in Deutschland gar nicht verklagen kann. Das sind rechtlich komplexe und auch spannende Fragen. Entscheidend ist aber, ob deren Beantwortung für eine Sanierung wirklich relevant sind. Solche Konstellationen vorzufiltern, einzuschätzen und eine gezielte Fragestellung bezogen auf die relevante Jurisdiktion herauszuarbeiten ist unsere Kernkompetenz. Wenn wir dann local counsel ansprechen, reduziert sich das Ganze auf die wirklich wichtigen und wesentlichen Fragen. So erreichen wir oft einen Zeitgewinn und vermeiden unnötige Kosten.
Gilt das auch für die Konzeptionierung von Restrukturierungen in Konzernen?
Tashiro: Ja. Oft steht und fällt das Business Model eines Konzerns mit den Intercompany-Verbindungen. Das heißt: Wenn eine Gesellschaft krankt, bedeutet das oft ein hohes Infektionsrisiko für die ganze Gruppe. Krise ist ansteckend. Was aber bedeutet das dann lokal aus Sicht des Unternehmens, der Geschäftsführung, der Arbeitnehmer oder der Gläubiger? Welchen rechtlichen Pflichten muss man begegnen und was ist der beste Weg, um die lokalen Gegebenheiten und die der Gruppe im Auge zu behalten? Welche Rückkoppelungen finanzieller und rechtlicher Natur entstehen und wie passt das ins Konzept der Restrukturierung? Fragen, für deren Beantwortung man unserer Erfahrung nach die Situation als Ganzes betrachten und den Überblick über alles behalten muss. Die Daten und Analysen aus allen betroffenen Ländern müssen erst zusammengeführt werden. Es ist wie ein großes Puzzle. Darauf aufbauend bereiten wir dann Entscheidungen vor und formulieren Empfehlungen.
Die Interviewpartnerin: Dr. Annerose Tashiro ist Rechtsanwältin, Registered Foreign Lawyer und Expertin für japanisches Insolvenzrecht. Sie leitet die Internationale Abteilung für Insolvenzrecht bei Schultze & Braun.
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