Frau Hauschel, was sind die Hauptaufgaben von Forensic Services-Spezialisten?
Hauschel: Kurz zusammengefasst sind wir die Ermittler im Auftrag der Gläubiger. Wir kümmern uns für Insolvenzverwalter darum, Beweise für eine mögliche spätere Verwendung vor Gericht zu sichern, aber auch überhaupt erst einmal zu finden. Dabei geht es auch darum, der Spur des Geldes zu folgen – also zu rekonstruieren, wohin Kapital geflossen ist, das der Insolvenzmasse zusteht. Bei der Aufarbeitung des Sachverhaltes, insbesondere der Mittelherkunfts- und Mittelverwendungsrechnung, greifen wir auf spezielle Datenanalysen zurück. Meine Kollegen und ich identifizieren aber auch mögliche Schadensansprüche gegen Organe, Abschlussprüfer sowie Dritte und setzen sie dann gemeinsam mit darauf spezialisierten Rechtsanwälten im Auftrag der Insolvenzverwalter durch. Das gleiche gilt für Anfechtungsansprüche. Darüber hinaus übernehmen wir auch die Vertretung gegenüber sowie die Kooperation mit Ermittlungs- und Aufsichtsbehörden.
Wie gehen Sie dabei vor?
Hauschel: Unser Ziel ist immer die Massemehrung. Auf dem Weg dorthin sind die Sachverhaltsaufklärung und die anschließende Rechtsverfolgung wichtige Meilensteine. Zunächst werden die Daten übernommen und ermittelt: Hierfür wird eine IT-Datensicherung der vollständigen Finanzbuchhaltung durchgeführt. Dann geht es an die gezielte Auswertung dieser Daten. Dabei geht es neben der Aufdeckung von Vermögensverschiebungen zum Beispiel darum, den Zeitpunkt festzustellen, zu dem Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Es geht uns aber auch darum, Fragen wie `War das Unternehmen überschuldet und wenn ja ab wann?´ zu beantworten. Oder wir ermitteln, inwieweit eventuell Jahresabschlüsse gefälscht oder Bilanzen manipuliert wurden. Aber auch der Blick in die Zukunft auf Basis der Daten spielt eine große Rolle – etwa bei den Fortführungsprognosen.
Das klingt nach einem umfangreichen Leistungsspektrum. Wie dokumentieren Sie die Ergebnisse?
Hauschel: Die Belege und Beweise stellen wir in einem Gutachten zusammen und ordnen sie ein. Das passiert zum Abschluss unserer Arbeit, aber natürlich stellen wir den Insolvenzverwaltern und den Behörden auch Zwischenberichte zur Verfügung. Die Berichte und das Gutachten sind gerichtssicher, bieten eine übersichtliche graphische Aufbereitung des Sachverhalts und bilden ebenso die Basis für die Geltendmachung und Durchsetzung von Schadenersatz- sowie Anfechtungsansprüchen.
Wie läuft das ab?
Hauschel: Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Zunächst die außergerichtliche Geltendmachung. Dabei werden die Schriftsätze samt aller einschlägigen Anlagen erstellt und die Prozessrisiken werden geprüft. Die außergerichtlichen Verhandlungen mit den Beteiligten werden dokumentiert. Wenn die Verhandlungen kein Ergebnis bringen, klären wir die Frage, wie die Ansprüche in einem gerichtlichen Verfahren durchgesetzt werden können.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Hauschel: Die FlowTex Gruppe hatte mit größtenteils nicht vorhandenen Horizontalbohrsystemen ein betrügerisches Schneeballsystem betrieben und damit bei Banken und Leasinggesellschaften einen Gesamtschaden von rund 2,6 Milliarden Euro verursacht – bis heute einer der größten Fälle von Wirtschaftskriminalität in Deutschland. Durch die intensive Zusammenarbeit von meinen Kollegen und mir mit den Ermittlungsbehörden in mehreren Ländern konnten gegen verschiedene Beschuldigte in kurzer Zeit zahlreiche Verfahren geführt sowie Urteile erwirkt werden. Das Ergebnis war, dass wir die Insolvenzmasse auch durch eigentlich beschlagnahmte und arrestierte Vermögenswerte erhöhen konnten. Grundlage dafür war eine Datenbank mit allen Geldströmen der beteiligten Personen und Gesellschaften, womit die Zahlungsströme ermittelt werden konnten. Mit dem Haupttäter wurde zudem ein Vergleich geschlossen, durch den der Insolvenzmasse am Ende zudem zusätzlich ein mehrstelliger Millionenbetrag zufloss. Natürlich handelt es sich bei FlowTex um einen Ausnahmefall. Wirecard, S&K oder Phoenix Kapitaldienst zeigen aber, dass der Bedarf für Forensic Services eher zu- als abnimmt.
Welchen Mehrwert bieten Forensic Services-Spezialisten?
Hauschel: Insolvenzverwalter können sich durch unsere Hilfe auf ihr Kerngebiet und ihre Kernaufgabe – die Insolvenzverwaltung – konzentrieren. Es ist sowohl unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten als auch mit Blick auf die Flexibilität sinnvoll, Spezialisten für Forensic Services ins Verfahren zu holen. Das trifft übrigens sowohl auf Kriminalinsolvenzen wie auf `normale´ Insolvenzen zu. Dabei sorgen wir mit unserer Aufklärungsarbeit und unserer Unterstützung bei der Durchsetzung von Schadenersatz- und Anfechtungsansprüchen für eine Mehrung der Masse.
Die Interviewpartnerin: Christine Hauschel ist Forensic Services-Expertin bei Schultze & Braun.
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